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Peilsender im Ranzen sorgt für Debatten

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Mit einem GPS-Sender für Grundschüler und einer Autofahrer-App will das Unternehmen CooDriver den Schulweg sicherer machen. Mit dieser Technik können Eltern gleichzeitig überprüfen, wo sich ihre Kinder aufhalten. Doch noch vor dem Start der Testphase in zwei Städten hagelte es Kritik – von Datenschützern, aber auch von Kinderhilfe und Eltern. Wolfsburg hat zurückgezogen, seitdem ist nur noch Ludwigsburg im Rennen. Dort steht man klar hinter dem Pilotprojekt des Start-ups, dessen Gründer mit seiner App auf eine Zukunft mit dem autonomen Fahren setzt. Für den obersten Datenschützer des Landes wird damit eine längst fällige Diskussion angestoßen.

Ludwigsburg. Hätte Walter Bobby Hildebrandt gewusst, was seine Schutzranzen-App auslösen würde, sähe sie heute anders aus: „Ich hätte die Möglichkeit weggelassen, dass Eltern zusätzlich ihre Kinder tracken können. Bei der nächsten Version nehmen wir das wieder raus.“ Entwickelt hat der Geschäftsführer des Start-ups CooDriver seine Schutzranzen-App eigentlich aus einem ganz anderen Grund: um den Schulweg seines Sohns sicherer zu machen, der vor drei Jahren in der Freiberger Grundschule eingeschult wurde. „Eine Warnweste wollte er nicht tragen, digital fand er dagegen cool.“

Das Prinzip ist eigentlich ganz einfach: Das Kind trägt einen Peilsender, der von Autofahrern, die die Schutzranzen-App heruntergeladen haben – entweder per Handy oder Autosoftware – empfangen wird, sobald sie in den vorgegebenen Radius von 150 Metern einfahren. „Achtung Schule. Bitte achten Sie auf Ihre Geschwindigkeit. Achtung Schulkinder“, warnt dann eine Stimme. „Autofahrer werden heute digital abgelenkt“, sagt Hildebrandt, „so werden sie digital erreicht.“ Der Grundgedanke: „Die Autofahrer aufmerksam und die Kinder sichtbar zu machen.“ Anders gesagt: „Ich digitalisiere die Warnweste und die Schilder mit Tempo 30 und ‚Achtung Schule‘.“ Der Sender hat zudem einen Notrufknopf, der die Nummer der Eltern anwählt sowie eine Standortbestimmung.

Seit die Datenschutzschelte des Vereins Digitalcourage medial an dieser Technik aufgegriffen wurde, hagelt es Kritik: Die Daten seien unsicher und könnten gehackt werden, um Bewegungsprofile zu erstellen, so der Vorwurf. Die Eltern überwachten damit ihre Kinder, und sogar von digitalen Wegweisern für Pädophile war die Rede.

Für Dr. Stefan Brink indes ist die Diskussion eher ein Glücksfall. „Wir brauchen die gesellschaftliche Debatte, was an Überwachung nötig ist.“ Der Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit in Baden-Württemberg weiß, dass es die Schutzranzen-App bereits seit zwei Jahren gibt. Brink weiß auch, dass Eltern per GPS im Mobiltelefon, im Schmuckstück oder gar per Schuheinlage ihre Kinder längst überwachen. „Es gibt jetzt schon so viele Möglichkeiten.“

Etwa in Altenheimen hätten sich Sender bewährt, mit denen Demenzkranke ausgestattet werden. Der Aufwand, nach Bewohnern zu suchen, hätte sich dadurch deutlich reduziert, die Diskussion um Datenschutz sei hier jedoch ebenso wenig geführt worden wie bei der flächendeckenden Nutzung von Smartphones, die Bewegungsprofile geradezu antrieben. „Die Debatte ist längst überfällig.“

In ein paar Tagen wird sich Brink mit dem CooDriver-Gründer und der Stadtverwaltung Ludwigsburg zusammensetzen, um die App zu bewerten. Seine niedersächsische Datenschützer-Kollegin Barbara Thiel hatte vergangene Woche auf die Landesschulbehörde eingewirkt, die das Projekt Schutzranzen an Wolfsburger Grundschulen stoppte. Der Fragen seien viele, so Brink: „Welche Datenflüsse gibt es? Welche Infos werden gespeichert? Geht der Standort der Kinder möglicherweise an Dritte? Und wir wollen wissen, welche Rolle die Eltern spielen.“ CooDriver befindet sich laut Hildebrandt da auf der sicheren Seite: „Die App ist so gebaut, dass wir keine Daten speichern.“ Das will Brink überprüfen: Digitale Möglichkeiten seien immer mit einem Risiko verbunden. „Wir wollen die Debatte versachlichen.“

Die sei durch die Schutzranzen-App angestoßen worden – im Grundsatz gehe es dabei nicht um die Frage, was möglich sei, sondern darum, was möglich sein dürfe. Nach einer repräsentativen Forsa-Umfrage könnten sich 46 Prozent der Befragten vorstellen, mit Hilfe von Apps oder GPS-fähigen Uhren nachzuverfolgen, wo sich ihr Kind gerade aufhält. 48 Prozent lehnen dies hingegen ab. „In drei bis vier Jahren wird sich das drehen“, prophezeit Brink. „Dann werden sich Eltern, die ihre Kinder nicht maximal überwachen, Vorwürfe gefallen lassen müssen.“ Das Sicherheitsbedürfnis „ist massiv gestiegen“, und eines sei klar: „Das Tracking kommt so sicher wie das Amen in der Kirche.“ Nun gehe es um vernünftige Konzepte der Ausgestaltung.

Facebook, Instagram & Co wildern seit langem im Datenparadies – von der Datenschutzgrundverordnung der Europäischen Union, die ab 25. Mai auch in Deutschland gelten soll, erhofft sich der Datenschützer deutliche Fortschritte. Seine Behörde sei von 35 auf 55 Mitarbeiter hochgefahren worden. Deutschland werde mit massiven Bußgeldern nun seine „hohen Datenschutzstandards durchsetzen können“.

Eine sensiblere Wahrnehmung sieht er auch in Ludwigsburg. Die Stadtverwaltung sei nach den ersten euphorischen Lobeshymnen auf die digitale Welt vorsichtiger geworden. Ludwigsburg hat nun einen Runden Tisch mit ADAC, Eltern, Schulen und Schulbehörde, Polizei und Datenschützern geplant. Digitalcourage hat in einem Offenen Brief an die Verwaltung bereits seine Teilnahme abgesagt und mit über 4000 Online-Unterschriften seine Kritik bekräftigt. Für die Stadt wünscht sich Heinz Handrack vom Referat Nachhaltige Stadtentwicklung „eine Versachlichung der Diskussion“.

Ludwigsburg stehe CooDriver weiter als Partner zur Verfügung, die Digitalisierung „kommt mit D-Zug-Tempo“, so Handrack. Schon 2017 ließ Ludwigsburg um alle Grundschulen eine digitale Schutzzone einrichten, die die Schutzranzen-App erkennt. Das automatisierte Fahren profitiere von der App, die CooDriver langfristig den Autoherstellern für ihre Software anbieten möchte. Dass VW jetzt in Wolfsburg zurückgezogen hat, ist für Hildebrandt ärgerlich, aber nicht gravierend. Die Teilnahme der Eltern sei freiwillig, Kritik willkommen: „Wir wollen gemeinsam sehen, was wir erreichen können.“

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