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Neckarweihingen
Heftige Kritik am Einsatz der Polizei

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Zehn Streifenwagenbesatzungen waren am Sonntagabend in Neckarweihingen im Einsatz, um die Situation in Griff zu bekommen. Bei einer Feier vor dem Gerätehaus der Feuerwehr attackierten betrunkene junge Männer Polizisten. Die Beamten reagierten mit Pfefferspray und Schlagstöcken. Einige Beobachter und Beteiligte werfen der Polizei bei der Räumung des Platzes ein brutales Vorgehen vor. Symbolfoto: dpa
Junge Männer und Polizisten geraten am Sonntagabend auf einer Feier nach dem Faschingsumzug in Neckarweihingen aneinander. Die Polizei will eine Schlägerei unterbinden, andere Besucher hindern die Beamten daran. Die Situation eskaliert. Es kommt zu neun Festnahmen und mehreren Verletzten. Nun melden sich Beteiligte und Beobachter zu Wort. Sie werfen der Polizei unnötige Brutalität vor.

Ludwigsburg. „Die Berichte der Polizei über die Vorfälle kann man so nicht stehenlassen“, sagt ein Neckarweihinger. Er ist einer derjenigen, die bei der Auseinandersetzung zwischen Polizei und Festbesuchern am Sonntagabend verhaftet wurden. „Ich habe den Glauben an den Rechtsstaat verloren“, sagt er uns im Gespräch. Er bittet darum, seinen Namen nicht zu nennen. Die Polizei sei brutal und aggressiv bei der Räumung des Platzes vorgegangen. „Es gibt Grenzen, und die sind überschritten, wenn ich auf jemanden, der am Boden liegt, einschlage“, sagt der Mann. „Die Polizei spricht immer von Gewalt gegen Beamte, aber gibt es auch eine Statistik, die Übergriffe erfasst, die von Polizeibeamten ausgehen?“

„Es war ein Geschrei und viel Tumult“

Der Mann geriet in den Tumult, weil er sich um seine Söhne sorgte. „Ich war längst vom Faschingsumzug wieder zu Hause, als es an der Türe klingelte“, erzählt er. Ein Bekannter stand da und meinte, einer seiner Söhne sei gerade verhaftet worden. „Ich bin auf den Vorplatz bei der Feuerwehr geeilt und dachte, hier findet eine Antiterrorübung statt.“ Er fragte bei einem Polizisten nach, wo seine Söhne seien. Zur Antwort habe er ein „Halt die Fresse und verschwinde“ bekommen. Mit der Aussage habe er sich nicht zufriedengeben wollen. „Ehe ich mich versah, lag ich auf dem Boden“, schildert er seine Sicht der Ereignisse des Abends.

Mit weiteren Verhafteten sei er an eine Hauswand geschupst worden und sollte sich hinsetzen. „Ich habe dem Polizisten gesagt, dass ich mich nicht hinsetzen kann, weil ich schwerbehindert bin“, erzählt er. Als Antwort sei ein „Halt’s Maul, sonst gibt’s eine drauf“ gekommen. Erst, als er einem anderen Beamten, der vorbeilief, sagte, dass er nicht sitzen könne, griff dieser nach dem Geldbeutel in seiner Hosentasche und holte den Behindertenausweis hervor. „Dann durfte ich endlich stehen.“

Der ganze Vorfall habe eine gefühlte Ewigkeit gedauert. „Es war ein Geschrei und viel Tumult.“ Und das alles, weil zwei, drei Besucher der Feier aneinandergeraten seien, wundert er sich. Die Party auf dem Vorplatz des Gerätehauses der Feuerwehr sei jedes Jahr gut besucht.

Der Fasnetsumzug, und somit die Veranstaltung der Mistelhexen, war längst vorbei, als es um 20.15 Uhr zu dem Polizeigroßeinsatz kam (wir berichteten). Mehrere Beamte, die den Umzug begleitet hatten und noch vor Ort waren, wurden laut Polizeibericht auf eine Schlägerei aufmerksam und wollten dazwischen gehen, seien daran aber gehindert worden. Die meisten jungen Männer seien alkoholisiert gewesen. Ein Festbesucher habe einem Beamten ins Gesicht geschlagen, heißt es im Polizeibericht weiter.

„Dass jemand einen Polizisten geschlagen hat, ist nicht in Ordnung“, betont der Neckarweihinger. „Aber dass die Polizei dann so reagiert, geht gar nicht.“ Zusammen mit neun weiteren Personen, die vor Ort waren, hat der Mann die Ereignisse in einem Schreiben festgehalten, das unserer Zeitung vorliegt. „Jeder von uns ist völlig entsetzt, wie aggressiv die jungen Beamten zu Werke gingen“, heißt es darin. Demnach hätten die Polizisten unter anderem bereits am Boden Liegende mit Schlagstöcken attackiert und einem Mädchen Pfefferspray ins Gesicht gesprüht, das Polizisten aufforderte, damit aufzuhören auf jemanden einzuprügeln. Das Geschehen sei völlig aus dem Ruder gelaufen.

„Ich hatte noch nie Kontakt mit der Polizei. Meine Söhne auch nicht“, sagt der Mann. Das Ergebnis dieser Begegnung seien mehrere Prellungen, Schürfwunden und Schmerzen. Der Vater will sich anwaltlich beraten lassen. Er überlegt, Anzeige zu erstatten.

„Uneinsichtige, aggressive Festbesucher“

„Ich kann mir das nicht vorstellen“, sagt der Pressesprecher des Polizeipräsidiums Peter Widenhorn zu den Vorwürfen. Die Leute vor Ort seien angetrunken und komplett uneinsichtig gewesen. Das Aggressionspotenzial sei hoch gewesen. „Wenn man Polizisten angreift, wehren sich diese“, sagt Widenhorn. Wenn die Polizei dazu auffordere, einen Platz zu verlassen, sollte man dem unverzüglich Folge leisten. „Zu Boden bringt man dann jemand, wenn er sich entsprechend verhält und die Beamten angeht“, erklärt er. Bei dem Einsatz seien auch fünf Polizeibeamte verletzt worden.

Die Betroffenen sollten sich mit ihren Beschwerden direkt an die Polizei wenden, so Widenhorn. „Wenn solche Vorwürfe erhoben werden, dann gehen wir dem natürlich nach.“